Das Haus Kiefer zeigt in seiner Eröffnungsausstellung frühe Werke von Anselm Kiefer, die zwischen 1971 und 1986 in seinen damaligen Ateliers in Hornbach und Buchen im Odenwald entstanden sind.
In diesen Werken sind Themenkreise angelegt, die in seinem künstlerischen Oeuvre bis heute immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurden: Landschaft, Geschichte, Religion, Mythologie und Poesie, insbesondere Gedichte von Paul Celan, Victor Hugo und Walther von der Vogelweide.
Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden Gemälde mit dem Symbol der Palette, das Kiefer Mitte der 70er Jahre in seine Bildsprache einführte. Als Zeichen für den Künstler und die Kunst war es bis 1981 eines seiner bevorzugten Motive und tritt bis heute in seinem Werk auf.
Dabei erweist sich die Palette – ebenso wie die Rolle des Künstlers, die sie versinnbildlicht – in der Kunst Anselm Kiefers als mehrdeutig. Einige der Palettenbilder verweisen auf die positive Kraft der Kunst. So scheint in Resumptio (1974) eine geflügelte Palette von einem Grab aufzusteigen als Zeichen der Hoffnung. Der Titel des Bildes verbindet das Wort resurrectio, die Auferstehung Christi, mit assumptio, der Himmelfahrt Marias und verheißt Auferstehung durch die Kunst.
In Unternehmen ‘Hagenbewegung’ und Unternehmen ‘Wintergewitter’ (1975) werden dunkle, beschneite Ackerfurchen von der Kontur einer Palette eingerahmt. Die Inschriften auf den Bildern zitieren Decknamen von Hitlers Militäroperationen in Russland, während die schwarzen Äcker auf die Taktik der verbrannten Erde anspielen, mit der die deutschen Truppen beim Rückzug Städte, Dörfer und Felder niederbrannten, um dem Feind unbrauchbares Land zu hinterlassen. Die Palette wählt hier wie ein Kameraobjektiv einen Ausschnitt, und lädt dazu ein, die Landschaft unter einem anderem Blickwinkel – dem des Künstlers – wahrzunehmen.
Das frühe Landschaftsgemälde Für Julia – Himmel und Erde von 1972 hat Kiefer seiner ersten Frau Julia gewidmet, mit der er 1971 in den Odenwald gezogen ist. Es spielt durch seine Inschrift auf die Rolle der Kunst an, die, so Kiefer, Mittlerin zwischen Himmel und Erde ist, indem sie einen Zusammenhang zwischen Materiellem und Spirituellem herstellt.
Die Inschrift des Bildes Noch ist Polen nicht verloren (für Julia) von 1978 zitiert die erste Zeile des Freiheitslieds der Polen, das heute Nationalhymne des Landes ist. Der auf die Ackerfurchen gemalte Panzer und das ihm gegenüberstehende Pferd verweisen hingegen auf den aussichtslosen Kampf der polnischen Kavallerie gegen die Panzer Hitlers zu Beginn des 2. Weltkrieges. Die Propaganda der Nationalsozialisten nutzte dieses Ereignis, indem sie den polnischen Reitern Selbstüberschätzung und Fanatismus vorwarf und sich selbst der technologischen und intellektuellen Überlegenheit rühmte.
Bereits 1974 hatte Kiefer den See Genezareth und die in der Bibel erwähnten Berge Horeb, Karmel und Sion in Öl und Aquarell dargestellt. Im Anschluss an seine Israelreise 1983/84 gewinnen Themen aus der hebräischen Bibel und dem Alten Testament dann weiter an Bedeutung und es entstehen Werke wie Auszug aus Ägypten, Das Rote Meer und Lots Frau.
Kiefers Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seine Hinterfragung deutscher Kultur und Identität nach dem 2. Weltkrieg, zeigte sich auch in seiner Beschäftigung mit dem Werk Richard Wagners. Ausgehend von Hitlers Wagner-Verehrung wurde dessen Musik vom Nationalsozialismus für Propagandazwecke vereinnahmt und zum Staatskult erhoben. In Herzeleide 1979 und Die Meistersinger 1981, nimmt Kiefer Bezug auf die Wagner-Opern Parsifal und Die Meistersinger von Nürnberg. Hintergrund dieser Werkgruppe bildet die Auseinandersetzung mit der Instrumentalisierung von Wagners Musik durch den Nationalsozialismus aber auch mit der Frage, inwiefern der Komponist, seine Musik und seine antisemitischen Schriften als geistige Wegbereiter der Ideologie des Dritten Reichs dienten.
Etwa zur gleichen Zeit arbeitete Kiefer an der Werkgruppe zur Todesfuge des Dichters Paul Celan, das die Schrecken der nationalsozialistischen Judenvernichtung thematisiert. Celan, 1920 als Sohn deutschsprachiger Juden in Rumänien geboren, schrieb das Gedicht 1944/45 in einem Arbeitslager in Czernowitz. Seine Eltern starben beide in Konzentrationslagern. Das Gedicht beschreibt mithilfe komplexer Symbolik das Schicksal der Juden und den Tagesablauf eines deutschen Offiziers in einem Konzentrationslager.
Kiefer zitiert in Dein blondes Haar, Margarethe und Dein aschenes Haar, Sulamith von 1981 das Gegensatzpaar zweier Frauen, das ein Leitmotiv innerhalb der Todesfuge ist. Margarete bezieht sich auf Gretchen aus Goethes Faust und steht allegorisch für eine blonde deutsche Frau, während Sulamith auf Sulamith aus dem Hohelied des alten Testaments Bezug nimmt. Sulamiths Haar wird als “aschen” beschrieben und symbolisiert den Holocaust.
Die Kunst ist in Kiefers Arbeiten aber oft auch einer Bedrohung ausgesetzt, der sie nicht immer standhalten kann: In Et la terre tremble encore (Waterloo) von 1982 ist eine Palette aus Ton in Stücke zerbrochen. Der Bildtitel ist Victor Hugos Gedicht L’expiation (Die Sühne) entnommen, das die Niederlage Napoleons in der Schlacht bei Waterloo (1815) thematisiert und die Absurdität des Krieges anprangert. Kiefer beeindruckte die Beschreibung der Landschaft durch Victor Hugo, der ihr menschliches Empfinden zuschreibt und deren Trostlosigkeit und Kälte das Leiden der Soldaten und den desolaten Zustand der Armee widerspiegelt. Für Kiefer gibt es keine unschuldige Landschaft, Mensch und Landschaft bilden vielmehr eine historische Symbiose.
In dem Aquarell Mohnfeld von 1974/75 liegt das Grab eines Soldaten inmitten eines Feldes von rotem Klatschmohn. Die Verwendung der Mohnblume als Symbol zum Gedenken an gefallene Soldaten kam nach dem 1. Weltkrieg im englischsprachigen Raum auf. Die Blume soll – in Anlehnung an das Gedicht Auf Flanders Feldern des kanadischen Sanitätsarztes John McCrae – an die vom Blut der Soldaten getränkten Felder in Flandern erinnern und gleichzeitig Hoffnung geben, dass das Leben weitergeht, denn auf den frisch aufgeschütteten Soldatengräbern begann angeblich als Erstes Klatschmohn zu blühen.
Im Unterschied zu herkömmlichen Atelierdarstellungen, in denen der Künstler Einblick in den Ort seines Schaffens gibt, zeigt Des Malers Atelier von 1979-80 eine kleine weiße Malerpalette, die ähnlich einem Denkmal auf einem Ständer plaziert ist. Sie scheint von einer Struktur aus Gitterstäben gleichzeitig eingesperrt und geschützt zu werden. Das Atelier ist für Kiefer vor allem ein Raum der Transformation und die Mohnblumen, die die Palette umgeben, stehen auch hier für Regeneration und die Möglichkeit neuen Lebens.